What People Do for Money – dieser existentiellen Fragestellung widmet sich die Manifesta 11 und greift damit ein Thema auf, das uns alle betrifft. Warum verdient der eine mehr als der andere – und das für die gleiche Arbeit? Warum ist die Karriereleiter von Männern oft steiler als die von Frauen? Warum misst sich der gesellschaftliche Status nach wie vor an Profession und Position? Ist Liebe zum Beruf, ist der viel zitierte «Workaholismus» nur eine Vorlage für Entfremdung und Instrumentalisierung? Und noch weiter: Wie findet man Arbeit, wenn man fremd in einem Land ist? Und wie funktioniert eine Welt, in der der Roboter uns endgültig ersetzt – und im Zeichen der Digitalisierung Arbeit eine Erfindung von gestern ist?
Auf all diese Fragen, auf ihre enge Verbindung zu dringlichen sozialen und politischen Fragestellungen unserer Zeit gibt es nicht immer eine einfache Antwort. Diese liefert auch die Manifesta nicht. Aber sie hat 30 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt eingeladen, in enger Zusammenarbeit mit Zürcher Berufstätigen ihren aktuellen Arbeitsbedingungen nachzuspüren. Dabei stellt sich heraus: Die Stadt Zürich, eines der europäischen Finanz- und Wirtschaftszentren mit einer reichen Tradition an verschiedenen Berufsfeldern, bietet ein spannendes Untersuchungsfeld – noch heute spielen die Zünfte im Stadtleben schliesslich eine grosse Rolle.
Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeiten, «Joint Ventures» genannt, spiegeln subtil, manchmal auch ironisch und durchaus humorvoll wider, wie Menschen in Zürich heute in ihrem Berufsumfeld agieren und vor allem funktionieren. Einige produzieren neue Dinge, die die Menschen vor Ort benötigen. So arbeitet die Künstlerin Jorinde Voigt mit einem Bootsbauer zusammen, der Künstler Jon Kessler mit einem Uhrmacher, und John Arnold bietet mit seinen Imbissies eine köstliche kulinarische Versorgungsquelle in Kooperation mit einem Sterne-Koch an.
Viele sind aber genau für das Gegenteil zuständig und helfen zu «entsorgen» – das, was es im Überfluss gibt, das, was Schaden anrichten kann, das, was den Komfort der Bürger einschränkt. So haben sich viele Künstler für eine Zusammenarbeit mit diesen Berufsgruppen entschieden: Die Ärzte bekämpfen Krankheiten (Michel Houellebecq), die Feuerwehr das Feuer (Carles Congost). Das Security-Personal schützt vor Gewalt und Übergriffen (Santiago Sierra), die Kläranlage entlastet von Unrat und Fäkalien (Mike Bouchet). Und der Leichenbestatter entsorgt schliesslich die Lasten des Todes, den funktionslos und damit überflüssig gewordenen Körper (Jennifer Tee). So arbeiten sie alle daran, sich in ihre fest definierte Funktion einzufügen – mit dem Ziel, dass die Stadt sauber, sicher und gesund ist und bleibt. Und damit auch weiterhin ihrem Image gerecht wird.
Vom Mikrokosmos zum Makrokosmos: Alle zusammen genommen – und vor allem im Spiegel der neuen Kunstwerke, die so entstehen – zeichnen sie ein Bild einer modernen Grossstadt und ihrer Widersprüche, den Kosmos eines hochkomplexen professionellen Systems als Grundgerüst des urbanen Lebens, ein eingespieltes, aber nicht selten auch paradoxes sozio-psychologisches Konstrukt an der Schnittstelle von Identitätsfindung und Existenzsicherung. Da, wo im Zeichen des Kapitals sich jeder seinen Platz sucht, um der Produktions- wie der Konsumgemeinschaft zu dienen. Aber vor allem auch, um selbst zu ver-dienen, um ebenbürtiger Teil dieser Gemeinschaft sein zu können.
Die Ergebnisse, die neuen Produktionen, werden in den beiden Hauptausstellungsorten Löwenbräukunst und Helmhaus ausgestellt, zwei klassischen Zürcher Kunstinstitutionen. Sie sind aber auch in den sogenannten Satelliten zu sehen: den Orten, an denen die Berufstätigen ihrer Arbeit nachgehen. So werden Michel Houllebecqs Röntgenaufnahmen seines gesundheitlichen Zustands in der Klinik Hirslanden und Jennifer Tees Arbeiten in der Leichenhalle des Friedhofs Enzenbühl präsentiert, während Mike Bouchets Klärschlamm-Kuben sich materiell wie olfaktorisch in der Löwenbräukunst ausbreiten und den Besucher mit einer ungewohnten Grenzerfahrung konfrontieren. Flankiert wird das Ganze von der sogenannten Historischen Ausstellung, die sich durch Löwenbräukunst und Helmhaus zieht und anhand der verschiedensten Exponate aus fünf Jahrzehnten und von über 200 Künstlerinnen und Künstlern reflektiert, wie diese sich mit alltäglichem Berufsleben auseinandergesetzt haben – auch dem eigenen. Denn gerade auch das Arbeiten und der Gelderwerb im Kunstbetrieb ist von vielen Widersprüchen gekennzeichnet.
Die Löwenbräukunst ist überhaupt die erste Anlaufstelle und eines der Zentren des Manifesta-Geschehens. Hier kann man sich am besten mit der Idee und dem Ansatz der Manifesta vertraut machen, sich im Detail informieren und dann entscheiden, wie viel Zeit man in die weitere Entdeckung der vielen verschiedenen Orte investieren will. Zwei weitere Highlights sollte man sich aber auf keinen Fall entgehen lassen: das Cabaret der Künstler – Zunfthaus Voltaire und den Pavillon of Reflections. Denn Arbeit ist immer nur das halbe Leben – auch bei der Manifesta: Nach den vielen ernsthaften, bisweilen auch nachdenklich stimmenden Kunstorten kann man hier Kunst auf unterhaltsame Arbeit erleben. Das Cabaret ist Spielstätte der neugegründeten Künstler-Zunft, der Pavillon of Reflections verbindet Bade- und Kunstgenuss – hier werden die filmischen Dokumentationen über die Joint Ventures im Entstehen eingespielt.
Die Begehung der Ausstellung selbst ist ein Prozess und wird zur Performance über 100 Tage: Die 34 über die Stadt verteilten Ausstellungsorte laden auch Zürcherinnen und Zürcher ein, neue Wege zu gehen in der eigenen Stadt, aber auch im Kopf. Und sie bringen uns immer wieder zurück zur Frage: Was ist Kunst, und was nicht?